Irgendwie bin ich froh als ich endlich losfahre. Die sanitären Anlagen waren einfach eine Zumutung und die Stimmung unter den Gästen irgendwie komisch.
Es dauert ein wenig bis ich endlich aus Vilnius raus bin. Ein paar Mal verstehe ich mein Navi falsch !? :)) Und auf die Route, auf die ich eigentlich will, komme ich einfach nicht. Blöd. Das muss ich nächstes Mal besser planen.
In Kelme fahre ich einen Supermarkt an. Ja, die haben hier auch sonntags geöffnet. Irgendwie doof, aber für mich heute ganz praktisch :( Vor dem Supermarkt sitzt eine Gruppe Männer schlecht zu schätzenden Alters und mit offensichtlich wenig Zähnen. Obdachlose? Einer spricht mich an. Es dauert eine Weile bis ich verstehe, dass er nach etwas zu essen fragt. Ich verspreche, aus dem Laden etwas mitzubringen. Ob er mein Englisch verstanden hat? Er lässt mich mit augenscheinlich wenig Zuversicht ziehen. Neben den Dingen, die ich für mich brauche, erstehe ich ein paar Bananen, ein großes Stück Käse, zehn Brötchen (ich meine fünf Männer gezählt zu haben) und eine große Flasche Wasser. Die Sachen werden dankbar entgegengenommen. Wir versuchen noch, uns ein wenig zu unterhalten, scheitern aber an der fehlenden gemeinsamen Sprache. Dass ich aus Deutschland komme, verstehen sie. So fahre ich weiter, und finde es irgendwie schade, dass ich kein litauisch kann.
Mal wieder ungeplant empfängt mich nach einer Abzweigung ein ganzes Stück Schotterstraße. 14 Kilometer werden es sein. Danach sind die Felgen meiner Suzi sandfarben.
Relativ kurz vor dem Ende der heutigen Etappe kaufe ich noch für Abendessen und Frühstück ein. Diesmal nur für mich ;) Aber zunächst steht noch ein Highlight bevor: der Kreuzhügel. Das Areal hat sich ein wenig verändert seit ich das letzte Mal hier war. Damals gab es ein paar Stände mit Souvenirs und zwei Plumpsklos. Heute gibt es ein festes Gebäude, in das ich aber nicht hineinschaue. Ich will auf den Hügel. Ob es wohl noch mehr Kreuze geworden sind seit damals? Wer will das sagen? Auf der rechten Seite findest Du etwas zur Geschichte dieses beeindruckenden Ortes.
Zum "Sunny Nights Camping" sind es nur noch 20 Kilometer. Als ich ankomme ist der Platz total leer. Er liegt zwar direkt neben der Hauptstraße, macht aber aber einen netten Eindruck. Der Inhaber des Platzes begrüßt mich auch gleich mit einem kühlen Bier! Das kann ich bei der Hitze gut gebrauchen. Was für ein netter Empfang. Wir sitzen erstmal in einem großen Raum, der Rezeption, Cafe' und Küche in einem ist und quatschen ein wenig. Ein paar Volontäre laufen herum und ein paar andere Menschen, die wohl auch irgendwie dazugehören. Alles ziemlich easy. Ich habe eher den Eindruck in einer Kommune gelandet zu sein als auf einem Campingplatz. Soulos, so heißt der junge Mann, dem das alles hier gehört, erklärt mir, dass dieses Anwesen früher, also ganz früher, eine Poststation war. Die Gebäude auf dem Platz zeugen noch davon. Hier haben die Postkutscher Post gebracht und mitgenommen, ihre Pferde gewechselt und bei Bedarf eine Nacht verbracht. Ich habe nun die Wahl, für 12 Euro mein Zelt aufzuschlagen oder für 15 Euro ein Zimmer in einem dieser urigen kleinen Häuser zu beziehen. Nach einer ausführlichen Führung über den Platz entscheide ich mich für das Zimmer ;)
Kaum habe ich mein Zimmer in Augenschein genommen, kommt ein zweiter Biker auf den Platz gerollt. Olli bewegt eine 1200er Triumph xca und ist vorgestern in Bayern gestartet. Auch er will hoch zum Nordkap. Aber er schafft das in der Hälfte der Zeit, die Gabi und ich veranschlagt haben.
Wir unterhalten uns noch eine Weile. Dann koche ich mein Abendessen - in der Küche der Rezeption. Die benutzen hier alle. Doch irgendwie Kommune! :) Nebenbei unterhalte ich mit einer jungen Frau, die hier eine Zeit lang mitarbeitet. Irgendwann bräuchte ich ein Sieb. Aber was heißt Sieb auf Englisch? An der Wand hängt eines, das viel zu klein ist. Ich zeige es ihr und sage, ich bräuchte so etwas in groß. Ob es sowas hier gibt, weiß sie leider auch nicht. Also fragt sie Soulos, natürlich auf litauisch. Und plötzlich höre ich ein Wort, das mir bekannt vorkommt. "Hast Du gerade "Durchschlag" gesagt?" "Ja, auf litauisch heißt das "Durchschlag!" "Auf deutsch auch! Das ist ein deutsches Wort." "Ist ja irre." "Stimmt." Wieder was gelernt. Ich bekomme meinen Durchschlag (Foto oben) und gemeinsam kochen wir weiter.
Der Abend wird noch lang ;)
Dem Maddin sein Spruch des Tages:
"Ein Christ soll wenig Wort und viel Tat machen."
Ausgaben:
Tanken €19,29
Snack €0,78
Mittagessen €7,49
Tanken €18,29
Abendessen €4,64
Gesamt des Tages: €34,49
Gesamt der Reise: €438,20
Der Kreuzhügel
Zu seiner Entstehung und Bedeutung gibt es mehr Legenden als Fakten. Um 1900 sollen hier etwa 150 Kreuze gestanden haben, aufgestellt für die Gefallenen der Aufstände gegen die russische Obrigkeit. 1940 wird ganz Litauen von Russland okkupiert. Nach Stalins Tod 1953 kehren Überlebende der Deportation zurück und stellen weitere Kreuze auf. Die Anzahl der Kreuze wächst stetig und gerät schon bald in den Blick der Herrschenden- 1961 beschließt das Zentralkomitee der kommunistischen Partei Litauens, den Hügel zu räumen. Bulldozer holen mehr als 2000 Kreuze von dem Hügel, die verbrannt oder verschrottet werden. Ruhe kehrt damit aber nicht ein. Schon in der nächsten Nacht stellen mutige Menschen neue Kreuze auf. Die Anzahl wächst erneut stetig. 1973, 74 und 75 wiederholt das Regime seine Zerstörungsaktion. Mit dem gleichen Ergebnis. Die Bevölkerung stellt neue Kreuze auf. Der Hügel wird zum Symbol des Widerstandes.
1990 sollen hier bereits 40.000 Kreuze gestanden haben. Ein paar Jahre später starten Studenten den Versuch, die Kreuze zu zählen. Bei 50.000 geben sie auf. Und da haben sie mit den kleinen Anhängern und Rosenkränzen, die an den größeren Kreuzen hängen, noch gar nicht angefangen.